Etwas über die Schneeberger Gruben
Auf den Spuren von Oberbergrat Otto Richard Tröger – eine Empfehlung
„Diese ausführlichen Beschreibungen aus der Sicht eines unmittelbaren Zeitzeugen sollen nicht der Vergessenheit anheimfallen. Deshalb werden sie im Wesentlichen ungekürzt und in originaler Schreibweise wiedergegeben.“ Bereits der Name des Herausgebers durfte keine andere als diese Vorbemerkung in dem sorgsam recherchierten Geleit erwarten lassen. Ist doch Lothar Riedel für seine beispielgebenden Forschungsarbeiten im besten Wortsinne eine wahrhafte Fundgrube, die nur das sauber bereitete Erz zur Ablieferung bringt. Und so ist dem nichts hinzuzufügen. Vielmehr sollte man diese Stelle mit der geistigen Feder vielen Schreibern neuerer Zeit ins Gedächtnis diktieren. Wird doch nur allzu oft wertvolles Material durch unkundige Bearbeitung nutzlos oder verschwenderisch „gebraucht“.
Überhaupt aber besitzen überlieferte Berichte aus unmittelbarer Anschauung eine ganz ursprüngliche Fähigkeit, dem Leser in fernerer Gegenwart Ereignisse und Begebenheiten, Zustände und Umstände, Möglichkeiten und Beschränkungen unverstellt wahrnehmen zu lassen. Aus ihnen strömt jener glaubwürdige, urtümliche und geradezu lebendig scheinende Atem, der die Entwicklung als Werken strebender Menschen einer namenlosen Geschichte entreißt. Und so muß uns die nicht umgearbeitete Darstellung aus der Betriebszeit, die nicht nur anschaulich die Lebensverhältnisse und die Arbeitswirklichkeit sowie die wirtschaftliche Bedeutung vermittelt, sondern ungeschönt die Einschätzung des Zeitgenossen überliefert, besonders wert sein. Vor allem die dadurch fortbleibende Einschätzung und Ergänzung aus Erkenntnissen und Wissen, die seinerzeit nicht vorhanden sein konnten, gibt den Blick auf ein unverfälschtes Bild jener Tage frei – und es bedarf keiner Retuschen. Es bedarf auch der beinahe Entschuldigung nicht, daß es nur möglich sei, manches bruchstückhaft anzudeuten: bereits diese Steinchen lassen ein mannigfaltiges Mosaik des alten erzgebirgischen Bergbaues und seiner Bergleute vor unseren Augen erstehen, daß die Beschränkung bei klarem Bezug auf die Person die rechte Entscheidung war.
Der klar abgesteckte Umfang gleicht dem sorgsam vermessenen Grubenfeld, das wohlgeordnet von fachlich erfahrener Hand erschlossen wird. Das mühsame Scharwerken in den Klüften, das Erkennen ergiebiger Gänge im matten Blendenschein des Bekannten, das Zapfen der verborgen raunenden, doch oft genug spärlich fließenden Quellen, um den Tiefen das Wissen fördernd zu entreißen, mag bei reichem Ausbringen hier die entsprechende Würdigung finden. Immer wird hiermit der Quellenüberlieferung eine wichtige Zubuße geleistet, da Grundlagen für weiteren Aufschluß und Mutungen gelegt sind. Der Rezensent weiß, was allein die Übertragung alter Handschriften an Fleiß, Mühewaltung und vornehmlich Zeit fordert.
Die Angaben sind dabei in ihrer Ausführlichkeit und Genauigkeit geradezu lexikalisches Wissen zum Schneeberger Bergbau. Vor dem Hintergrund des Welterbes mag alles noch einmal so bedeutungsvoll werden für die bereits gewiesenen, weiterführenden Forschungen auf (bergbau-) geschichtlichem, geologischem, wirtschaftlichem, sozialem, aber auch politischem und nicht zuletzt kulturellem Felde. Es bleibt zu hoffen, daß noch mancher höffige Anbruch auf den angefahrenen Trümern gelingt durch Studienarbeiten im besten Wortsinne.
Die Worte aber mögen ihre Lachterkette an dem Maß jener urwüchsigen Sprache des Bergmannes ausrichten, die uns aus den Zeilen Richard Trögers zuströmt. In dieser Ursprünglichkeit sollen wir sie pflegen und lebendig bewahren, wenn wir das teure Erbe des sächsischen Berg- und Hüttenwesens auf die Zukunft zinstragend anlegen wollen. Denn hinterlassene Bänder müssen sorgsam weitergewebt und geknüpft werden, um durch innere Festigkeit fortgesetzt gehörigen Halt zu gewähren. Wollen wir daher einen Moment in die Ausführungen hineinlesen und alsbald bemerken, daß wohl nach seiner Einführung „… die Materie an sich trocken …“ sei, was aber an vielen Stellen leicht durchbrochen wird. Man nehme sich nur einmal die Ausführungen über die Gewältigung des St. Georger Kunst- und Treibeschachtes und den Wassereinbruch beim Neujahr-Schacht vor – welche tiefe Empfindung. Dazu die Beschreibungen der reichen Anbrüche auf dem Dreililien Flachen, dem Neujahr Spat oder Katharina Flachen. Hier ist die dankbare Freude des alten Bergmannsstandes spürbar; schließlich die eigentlichen Grundlagen allen bergmännischen Tuns, das in Ehrfurcht, Wertschätzung und Bescheidenheit unter dem belebenden Bitten um den Segen Gottes seine Grundfesten besaß.
Von dem mühsamen, nicht minder gefahrvollen Durchschlag in den mit Standwasser angefüllten, alten Kathariner Kunstschacht erfahren wir etwa: „Am 14. October endlich nachts kurz nach 2 Uhr sollte die Entscheidung eintreten, indem plötzlich der Bohrer bei einer Tiefe von 9 Ellen in offenen Bau durchschlug und die Wasser im Augenblick mit Macht hervorbrachen! Wie gewaltig der Luftdruck war, zeigt der Umstand, daß die Solaröllampen bis an den Weißer Hirscher Kunstschacht auf eine Länge von ungefähr 150 Lachter dadurch ausgelöscht waren und nur die 8 Stück in gut schließenden Laternen stehenden Oellampen vom Orte zurück fortgebrannt hatten, so daß die anfangs heftig erschrockenen Arbeiter, denen ihre Lichter natürlich sofort verlöscht waren, sich leicht hinter die Wasserthüren flüchten konnten. Am anderen Tage früh 8 Uhr standen die Wasser auf der sehr weit verzweigten 110 Lachterstrecke bereits 10 ½ Zoll über dem Tragewerke bei Weißer Hirscher Kunst- und Treibeschacht, als ich mich, da ich unter allen Umständen diesen Wasserstrahl sehen wollte, im Eisenbahnhunde durch einen Jungen vor Ort stoßen ließ. Niemals in meinem Leben werde ich diesen aus dunkler Felsenwand mit starkem Geräusche hervorbrechenden Wasserstrahl vergessen, denselben mit zu Gott dankerfülltem Herzen betrachtend!“ Überhaupt bringt beispielsweise diese „Wiederaufnahme der Katharina Neufang“ vieles von der technischen und technologischen Vorgehensweise, aber auch den Gefahren und Bedingungen besonders des fortgeführten Bergbaues. Wer ihn verstehen und nachvollziehen will, wird hinlänglich fündig.
Die Schilderung einer anschließenden, kleinen Feierlichkeit mag hier noch als ein Kristall bergmännischer Kultur folgen: „Das Innere des Treibehauses [von Weißer Hirsch] war mit Guirlanden von Fichten- und Tannenreisern decoriert und von Lichtern beleuchtet, welche auf einer aus losen Mauerziegeln aufgesetzten kanzelförmigen Erhöhung und darüber sich wölbenden Bogen angebracht waren. Auch die beim Durchschlage gebrauchten Laternen und Lampen hatten in sinniger Weise an den Wänden, den Schacht beleuchtend, Platz gefunden. Hierauf wurde das Zeichen zum Anholen der Tonne, welche durch auf ihr angebrachte Lichter von der Schachtbrüstung aus auf dem 110 Lachterfüllorte deutlich zu sehen war, gegeben. Während des Heraustreibens herrschte erwartungsvolle Stille. Die noch mit einem Transparent, welches in farbigen Buchstaben die Worte: ‚Glück auf! Gott erhalte und segne den Bergbau‘ versehene Tonne hatte die Brüstung erreicht und wurde, nachdem das Transparent abgenommen und über der Kanzel angebracht worden war, gestürzt und schöne große Erzwände fielen aus ihr zu Boden. Hierauf wurde das Gesangbuchlied: ‚Glückauf! Der Schöpfer der Natur, der Geber edler Gaben‘ gesungen und nach diesem betrat ich entblößten Hauptes die Kanzel …“.
Gedenken wir bei diesen Zeilen der schönen, alten Ausdrucksweisen, so sei nicht vergessen, daß Tröger noch allenthalben von „der Schneeberger Revier“ sprach und nicht „das Revier“ üblich war, wie heute gebräuchlich.
Besonders gut für das Verständnis ist die ausgezeichnet beschaffte und ausgewählte zeitgenössische Bebilderung. Wie die unmittelbar niedergelegten Worte geben ja erst recht die im Wägen und Wirken entstandenen Risse, die Zeichnungen und vorzüglich die fotografischen Momentaufnahmen ein eigentliches Bild der Verhältnisse und Örtlichkeiten, wie auch der Personen und Ereignisse. Hier sei als Beispiel auf die Bilder der Lebensrettungs-Medaille im Zusammenhang mit der Schilderung des großen Wassereinbruches auf dem Neujahr-Schacht 1885 verwiesen. So wird die Vorstellungskraft zwiefach hervorgerufen und eins ums andere gestärkt. Wohlbewahrtes Archivmaterial entfaltet hier seinen Wert im passenden Rahmen. Zugleich schaffen die Abbildungen die Verbindung zum letzten Abschnitt: dabei sollen die von Gregor Lorenz meisterlich gefertigten Landschafts- und Untertagebilder beileibe nicht nur illustrativen Charakter tragen – vielmehr wollen sie uns mitnehmen in die gerade hier noch so erfahrbare Lebens-, Arbeits- und Naturwelt eines Mannes und seiner Zeit, der am hellen Tage nicht minder das Gras grünen sah, die Wälder rauschen hörte und den würzigen Duft der Wiesen einsog – so wie er in den dunklen Teufen die Erze blinken schaute, den rinnenden Wassern lauschte und die mulmigen Wetter in sich aufnahm. Fast wäre es gut gewesen, die Bilder einzustreuen, um dem Leser zugleich zu sagen: die Vergangenheit ist keine Welt in Schwarz und Weiß oder Sepia – sie ist eine ebenso farbenfrohe und vielgestaltige Wirklichkeit gewesen, wie sie uns noch heute umgibt. Und dennoch bleibt die Ordnung die rechte: das Bild jeder Epoche in sich geschlossen.
Und so zieht man gerne mit den Altvorderen hinaus; wandert rüstigen Schrittes die Häuersteige hinan. So sei einem jeden aber ans Herz gelegt, der das Gewesene als ein vergangenes Geschehen begreifen will – für die das Heute mit seinem Wissen um das Gewordene verborgen war – dem Gelebten, Gehofften und Gewollten empfindend nachzuspüren.
Dies durch eine angenehme, ebenso geschlossene und durchgebildete Gestaltung unterstützt zu finden, läßt die Einfahrt in die Teufen unserer Montanregion umso wohltuender und anregender empfinden. Der im Buch gefundene Dank an Gregor Lorenz kann getrost zu reicher Ausbeute gerechnet werden.
Und so können wir Bergrat Tröger durchaus beruhigen, der vermeinte: „Ich wünsche nur, daß derjenige, welcher dies alles einmal lesen sollte, sich nicht zu sehr langweilen wird. Mir machte es aber Vergnügen, an den Winterabenden nach vollbrachtem Tagewerk an meinem häuslichen Schreibtische all‘ das Selbsterlebte in der Erinnerung noch einmal vorüberziehen zu lassen.“ Wie gut, daß er solches getan und Lothar Riedel uns alles zu Nutzen, Belehrung, Kenntnis und Lesegenuß erschlossen, gefaßt, umfänglich zu Persönlichkeit und Werk eingeleitet sowie zum Druck vorgerichtet hat.
Was wäre verloren, wenn nicht aus den Zeilen der Lebenshauch alten Bergwesens zu uns atmete, um jene so bedeutenden Tage unserer Heimat bei Puls aus dem erzenen Herzen zu erhalten.
Das Buch „Etwas über die Schneeberger Gruben – auf den Spuren von Oberbergrat Otto Richard Tröger“ erschien 2017 im Verlag der Bergsicherung Schneeberg. Es sei allen Freunden des Bergbaues und des Erzgebirges gern in die Hände gegeben.
Heino Neuber.